Handwerk-Talk – aktuelles Thema:
Geht es Auszubildenden
im Handwerk wirklich schlecht?
Das „Azubihilfe Netzwerk“ mit Sitz in Köln erhebt in einem offenen Brief schwere Vorwürfe gegen die Betriebe.
Das Helmstedter Handwerk reagiert nun darauf und weist die Vorwürfe zurück.
Die allgemeine Situation von Auszubildenden im Deutschen Handwerk sei erschütternd, behauptet das „Azubihilfe-Netzwerk“. Es hat seinen Sitz in Köln und wird von diversen Organisationen unterstützt. In einem offenen Brief erheben die Protagonisten des Netzwerks schwere Vorwürfe, die von Ableismus, Sexismus über Mobbing bis hin zu echter Gewalt, also bis hin zu Straftaten, wie Körperverletzung reichen. Das Netzwerk sagt, all diese Dinge seinen Alltag im Deutschen Handwerk. Besonders schlimm an dieser Tatsache sei jedoch, dass Behörden wie auch Berufsschulen einfach wegesehen würden. Ist das wirklich so? Geht es den Auszubildenden im Deutschen Handwerk derart schlecht? Dieser Frage stellte sich der Kreishandwerksmeister Martin Bauermeister. Hören sie hier Episode 3 des Handwerk-Talks der Kreishandwerkerschaft Helmstedt-Wolfsburg.
In einem Beitrag der Hemstedter Nachrichten vom 27. November 2024 geht das Helmstedter Handwerk auf die Vorwürfe aus dem offenen Brief des „Azubihilfe Netzwerk“ ein. Am Gespräch zum Thema nahmen die Leiterin der Berufsbildenden Schule (BBS) Helmstedt, Oberstudiendirektorin Anke Thumann, der Kreishandwerksmeister Martin Bauermeister, dee Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Helmstedt-Wolfsburg, Claudius Nitschke, dee Obermeister der Dachdecker-Innung Jochen Angerstein sowie die Tischlermeisterin Sophie Wehke aus dem Helmstedter Nordkreis tei. Lesen Sie hier den Beitrag zum Gespräch.
Helmstedt..„Die allgemeine Situation von Auszubildenden im Handwerk ist erschütternd“, schreibt das „Azubihilfe Netzwerk“ mit Sitz in Köln. Auszubildende würden bei einem Stundenlohn von drei bis sechs Euro als billige Arbeitskräfte missbraucht. Ableismus, Sexismus, Rassismus, Ausbeute, rechtswidrige Arbeitsbedingungen, Mobbing, Machtmissbrauch und Anschreien sind demnach Realität im deutschen Handwerk, mehr noch: sie seien alltäglich. Und bei alledem würden Behörden und Berufsschulen wegschauen, so das Netzwerk. Die Berichterstattung über den Brief mit Auszügen aus selbigem ist Verantwortlichen des Helmstedter Handwerks bitter aufgestoßen. Aus ihrer Sicht ist der Brief nicht differenziert und klagt das Handwerk in einer diffamierenden Art und Weise an. Wir sprachen mit der Leiterin der Berufsbildenden Schule (BBS) Helmstedt, Oberstudiendirektorin Anke Thumann, dem Kreishandwerksmeister Martin Bauermeister, dem Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Helmstedt-Wolfsburg, Claudius Nitschke, dem Obermeister der Dachdecker-Innung Jochen Angerstein sowie der Tischlermeisterin Sophie Wehke aus dem Helmstedter Nordkreis. Das Gespräch fand in den Räumen der BBS statt.
Natürlich müsse das Thema öffentlich diskutiert werden. Auch das Handwerk müsse sich hinterfragen, leitete Martin Bauermeister die Gesprächsrunde ein. Das müsse aber auf Augenhöhe passieren. Er habe nach der Lektüre des Briefes innerhalb seines Betriebes (Maler) nachgefragt. Aktuell beschäftige er vier Auszubildende, darunter drei junge Damen sowie einen jungen Mann. Er stammt von der Elfenbeinküste. „Das sind ja exakt die Zielgruppen, die der Brief benennt“, so der Kreishandwerksmeister. Zwei junge Frauen habe er erreicht, und die beiden haben demnach überhaupt keine Probleme. „Es gibt wohl immer mal Sticheleien, aber das sei normal, sagten die beiden, anders wäre das auch langweilig“, zitiert Bauermeister aus dem Gespräch. Angesprochen auf das Thema „Gendern“, ebenfalls Inhalt des offenen Briefes, habe eine junge Frau gar laut gelacht und erklärt: „Für so einen Blödsinn habe ich eigentlich kein Verständnis.“ Da ging es etwa um Begriffe, wie Gesellenbrief oder Gesellinnenbrief.
Jochen Angerstein kritisierte: „Hier werden wenige spezielle Fälle verallgemeinert. Wir werden als Handwerk insgesamt massiv angegriffen.“ Es sei richtig, so Angerstein, dass diese Fälle publik und aufgearbeitet würden, aber: „Die vom Netzwerk geschaffene einseitige Aufmerksamkeit steht in keinem Verhältnis zur Realität. Wir müssen solche Fälle sehen, aber dann soll man bitte auch direkt mit uns sprechen.“ Martin Bauermeister untermauerte: „Exakt für solche Fälle gibt es Anlaufstellen in der Handwerkskammer, die sowohl für die Betriebe als auch für die Auszubildenden zuständig sind.“ Die Kammern seien aufgrund ihrer paritätischen Strukturen der Neutralität verpflichtet. Damit widerspricht Bauermeister direkt einer Aussage des Netzwerkes, wonach betroffene Auzubildende keine Anlaufstelle hätten.
Sophie Wehke brach das Thema auf eine persönliche Ebene herunter. Ausgehend von allgemeingültigen klarer Grenzen etwa im Bereich sexueller Belästigung, habe sie derartige Erlebnisse, wie sie der offene Brief nennt, in ihrem Berufsleben bislang noch nie erlebt, aber: „Die Menschen sind unterschiedlich empfindsam. Das darf man nicht vergessen“, erklärte sie. Sie beschrieb das Klima in ihrem Betrieb als familiär und offen. Unterschiede zwischen den Geschlechtern würden allenfalls gemacht, wenn es um das Tragen besonders schwerer Bauelemente geht.
Auch dem Vorwurf, Auszubildende würden als billige Arbeitskräfte missbraucht, widersprach Wehke deutlich und Martin Bauermeister stellte klar: „Wir haben eine Ausbildungsvergütung, die man wirtschaftlich in Relation zur tatsächlichen Anwesenheit der Auszubildenden im Betrieb setzen muss. Wir haben zudem einen überdurchschnittlichen Krankenstand unter den Auszubildenden im ersten Lehrjahr.“ In den letzten Jahren sei die Ausbildungsvergütung deutlich erhöht worden. „Dafür habe auch ich gekämpft. Wir wollen attraktiv für die jungen Menschen sein“, ergänzte Bauermeister. Auszubildende im dritten Lehrjahr zum Beruf des Dachdeckers erhalten übrigens 1370 Euro pro Monat. Im Vergleich dazu: Die Stadt Braunschweig wirbt aktuell um Interessenten für ein Dualstudium zum Bachelor of Arts (B.A.) bei einer monatlichen Vergütung in Höhe von 1319 Euro. Eine Ausbildungsvergütung sei für die Betriebe eine ganz bewusste Investition in die Zukunft.
Die Vorwürfe des Netzwerks sind vielfältig und wiegen schwer, etwa im Bereich Rassismus, der an der Tagesordnung sei. Martin Bauermeister beschäftigt Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund. Tenor unter ihnen sei: Rassismus ist für sie tatsächlich ein alltägliches Thema, aber nicht im Betrieb. Der sei vielmehr ein Schutzraum. Einen solchen Schutzraum stellt Schule dar. „Das sind wir, stellen aber fest, dass die Auffälligkeiten mehr werden“, erklärte Oberstudiendirektorin Anke Thumann. Da gehe es zum Beispiel um einen rauer werdenden Ton, bis hin zu einer gestohlenen Regenbogenflagge, die die Schule gehisst hatte. „Wir können aber nicht feststellen, dass die Auffälligkeiten in einem bestimmten Bereich größer werden“, schränkt Thumann ein. Sie beobachte eine verringerte „Regulationskompetenz“. Konflikte würden weniger im direkten Gespräch geklärt, vielmehr über die sozialen Medien verbreitet und damit potenziert. In sehr seltenen Fällen würden Probleme aus den Betrieben in den zweiten Lernort Schule getragen. Der offene Brief spreche gesamtgesellschaftliche Themen an, die man nicht auf einen Bereich beschränken könne, so Thumann. Aus ihrer Sicht male der Brief des Netzwerkes ein Bild, das „wir in keinster Weise so beobachten können“, wird die Schulleiterin deutlich.
„Wenn man die Gesamtzahl der Ausbildungsverträge nimmt, sprechen wir hier wirklich von Einzelfällen“, untermauert Claudius Nitschke von der Kreishandwerkerschaft Helmstedt-Wolfsburg den Tenor der Runde. Er ist für Auszubildende wie Mitarbeitende in Betrieben eine mögliche Anlaufstelle bei diversen Problemlagen. Die Fälle würden bearbeitet und zögen entsprechende Konsequenzen nach sich, aber: „Wenn ich in diesem Bereich eine Beratung im Jahr habe, ist das schon viel.“